Chronik des TSV Obernzell:

Wer heute noch den Begriff „turnen“ verwendet, kann Gefahr laufen, als „Mensch von gestern“ angesehen zu werden, er ist nicht mehr „in“.

Für die jüngeren Zeitgenossen, am Übergang in ein neues Jahrtausend, gelten bei der Beurteilung von sportlicher Betätigung andere Maßstäbe als diejenigen, die uns aus der Gründerzeit der Turnvereine überliefert sind. Die im Jahr 1811 in Berlin von den bekannten Turnvater  Friedrich Ludwig Jahn (1778-1852) begründete Form von Leibesübungen fand nach den Befreiungskriegen (1813-1815) Nachahmung in so manchen deutschen Städten und Marktflecken. Ursprünglich als Selbstzweck zur Wehrhaftmachung der Jugend betrieben, ermöglichte das Turnen in den Vereinen für beide Geschlechter und alle Gesellschaftsschichten, nach den Ideen von Jahn, die Ausbildung zu Kraft und Gewandtheit, zu Mut, Geistesgegenwart und Ausdauer. Durch Freiübungen, Geräteturnen, volkstümliche Übungen, Schwimmen, Fechten, Turnspiele und Wanderfahrten sollte dieses Ziel erreicht werden. Hauptturngeräte waren seinerzeit: Reck, Barren, Pferd, Bock, Kasten, Schaukelreck (Trapez), Ringe, Leitern, Stangen, Taue, Schwebebaum und als Handgeräte Hanteln, Stäbe und Keulen.
Auch in Obernzell hatte offensichtlich die Turnerbewegung sehr bald Anklang gefunden, denn aus dem Protokoll zur Gründungsversammlung der Freiwilligen Feuerwehr Obernzell vom Jahr 1863 geht hervor, dass damals schon eine bestehende Turnergemeinschaft geschlossen der Feuerwehr beigetreten ist und letztere deswegen den Namen „Turner-Feuerwehr“ erhalten hat. Der erste offizielle Turnverein wurde in Obernzell am 31.Juli 1886 gegründet und die Gründungsmitglieder gaben sich den Namen: Turnverein Obernzell-Erlau“. Zum 1. Vorstand wurde der Leinwand-Großhändler Carl Thurnwalder erwählt, dessen Vater Johann bei den Tiroler Freiheitskämpfen für Andreas Hofer als Adjudant und Parlamentär tätig war. Dieser Johann Thurnwalder ist nach dem Tod von Hofer nach Obernzell gezogen, war hier bei dem ebenfalls aus Tirol stammenden Leinwandhändler Franz Niklas Siller beschäftigt und hat später dessen Tochter geheiratet. Schatzmeister und Schriftführer war Franz Zirnbauer, der Sohn des Lederfabrikanten und früheren Bürgermeisters Joseph Zirnbauer.

Als Turnwart ist ein C. Christoph eingetragen, über den im Marktarchiv keine näheren Daten zu finden sind. Vermutlich war er vorher schon anderweitig Mitglied einer Turnergemeinschaft und zur Zeit der Vereinsgründung in der Papierfabrik Erlau beschäftigt. Dieser Umstand dürfte zum Vereinsnamen „Obernzell-Erlau“ geführt haben. Mit dem Ausscheiden seiner Person, über das wir weder zeitlich noch ursächlich unterrichtet sind, dürfte auch der Turnbetrieb in Obernzell zum Erliegen gekommen sein, weshalb 13 Jahre nach der Gründung dieses Vorgängervereins eine Neukonstitution notwendig war. Diese Neugründung im Jahre 1899 ist für uns der Anlass, im Jahr 1999 das 100-jährige Vereinsjubiläum zu feiern.
Aus dem Protokollbuch dieses neugegründeten Vereins können wir entnehmen:
Heute, den 8. Oktober 1899, Nachmittag versammelten sich im Eggersdorfer’schen Gasthause die in der umstehenden Mitgliederliste angeführten 24 Personen (Nr. 1-24) und beschlossen die Gründung eines

„Turnvereins Obernzell“.

Die Beratung der Statuten ergab die einstimmige Annahme des auf Seite 3 und ff. aufgeführten Entwurfes.

Durch Stimmzettel wurden gewählt:

Zum 1. Vorstand Ludwig Honold mit 23 Stimmen
Zum 2. Vorstand Georg Fesl mit 23 Stimmen
Zum Kassier Johann Prechtl mit 22 Stimmen
Zum Turnwart August Achatz mit 22 Stimmen
Zum Schriftwart Mich. Kronawitter mit 21 Stimmen
Zum Zeugwart Ludwig Müller mit 23 Stimmen
Zum 1. Vorturner Alois Blößl mit 24 Stimmen
Zum 2. Vorturner Mich. Kainz mit 23 Stimmen
Zum 1. Beisitzer Joh. Hüttinger mit 20 Stimmen
Zum 2. Beisitzer Georg Mitterbauer mit 20 Stimmen

 

 

Die Gewählten nahmen die Wahl an.

Vereinslokal: Eggersdorfer’s Gasthaus.

Obernzell, 8. Oktober 1899                (Unterschrift)

Ludwig Honold, 1. Vorstand

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